Interview: Tom Alby

🗓️ 29.02.2024

Tom Alby

Head of Marketing / Chief Digital Transformation Officer 

Stell dich vor, was ist Deine Position und wie kommst du mit Datenkompetenz in deinem Unternehmen in Berührung?

Tom Alby:

Ich bin der Chief Digital Transformation Officer und Leiter des Marketings bei Allianz Trade, ehemals Euler Hermes, in der DACH-Region. Darüber hinaus lehre ich an der HAW in Hamburg Datenanalyse, Statistik und Data Science und habe darüber hinaus ein kleines Forschungsprojekt an der Humboldt-Universität in Berlin, wo es auch um das Thema Datenkompetenz geht. Ich komme beruflich also ständig mit Daten und Data Literacy in Berührung. Wenn wir auf Allianz Trade schauen, ist bspw. das Marketing stark datengetrieben, denn wir arbeiten unter anderem mit Google- oder Marktforschungsdaten, um das Marketing möglichst relevant zu gestalten. Darüber hinaus haben wir im Bereich Digital Transformation mehrere Machine-Learning-Projekte.  

Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, dass Datenkompetenz der breiten Gesellschaft zugänglich gemacht werden? 

Tom Alby:

Ich glaube, dass das wirklich für jeden wichtig ist. Wenn man nicht eine gewisse Datenkompetenz mitbringt und sich keine Gedanken über die zu Grunde liegenden Daten macht, kann man sehr leicht manipuliert werden. Ich habe mal einen Politiker sagen hören: „Im Durchschnitt hat jeder Mensch in Deutschland zweihunderttausend Euro auf dem Konto. Überlegen Sie mal, wieviel Sie drüber liegen.“ Natürlich darf man nicht den Durchschnitt verwenden, wenn es um Einkommen geht, weil das Einkommen in Deutschland nicht normalverteilt ist. Aber die Zuhörer wurden genau durch diesen kleinen statistischen Trick manipuliert, und die meisten haben sich arm gefühlt, weil sie nicht wie der Durchschnitt 200.000€ auf dem Konto haben. 

„Wenn man mit Daten argumentiert, sieht man sehr schnell, dass Konflikte reduziert oder vermieden werden können, weil es nicht mehr nur um Meinungen geht. Wenn sich mehr auf die Daten fokussiert wird, kann dies aus meiner Sicht dabei helfen, das Konfliktpotenzial in der Gesellschaft zu reduzieren.“

Welche Gefahren und Chancen siehst du hier?

Tom Alby:

Ich glaube, dass es vielen Diskussionen dienlich ist, wenn sie mit Daten angereichert werden. Es gibt diesen schönen Spruch, dass die lauteste Meinung manchmal die leiseste Ahnung hat. Wenn man mit Daten argumentiert, sieht man sehr schnell, dass Konflikte reduziert oder vermieden werden können, weil es nicht mehr nur um Meinungen geht. Wenn sich mehr auf die Daten fokussiert wird, kann dies aus meiner Sicht dabei helfen, das Konfliktpotenzial in der Gesellschaft zu reduzieren.  

Die Gefahr dabei ist, dass es immer einen gewissen Interpretationsspielraum gibt und Daten unterschiedlich gedeutet werden können. Da hilft es natürlich, eine gewisse Datenkompetenz mitzubringen, weil man dann zumindest weiß, was könnten die verschiedenen Interpretationen sein und wie kann man damit argumentativ umgehen. 

Was für Datenkompetenz Initiativen benötigt es für den Wirtschaftsstandort Deutschland, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben?

Tom Alby:

Ich sehe ein großes Potenzial darin, wenn die Förderung von Datenkompetenz in Verbindung mit realen Fragestellungen vorangetrieben wird. Statistik darf nicht wie Schwimmen auf dem Trockenen vermittelt werden, denn letztendlich hilft Datenkompetenz dabei, Ziele zu erreichen. Das beginnt schon in der Schule. 

Ein Beispiel: Ich war früher bei Google und dort war ich auch zuständig für Google Analytics, einem Webanalysetool. Das Tool ist zum Teil kostenlos, das Training ist kostenlos. An meinem Forschungsprojekt an der HU konnte ich nachweisen, dass die meisten Menschen dennoch das Tool nicht sinnvoll einsetzen, obwohl eigentlich jeder interessiert daran sein müsste, zu wissen, was auf der Webseite passiert und welche korrigierenden Maßnahmen einzuleiten sind. Tatsächlich dachten die Nutzer, dass sie schon Datenkompetenz durch die Installation des Tools gewonnen haben. 

Ein Ergebnis meiner Forschungsarbeit ist, dass wir in der Schule mehr kritisches Denken fördern müssen. Kritisches Denken erlaubt es uns, zu hinterfragen und zu interpretieren: „Was sind das für Daten, wie wurden die erhoben?“ und nicht einem Tool blind vertrauen, nur weil es zum Beispiel von Google kommt. 

Gibt es Initiativen rund um den Einsatz von Daten, welche du in diesem Zusammenhang besonders beeindruckend fandest, von denen du mal gelesen oder mitbekommen hast? 

Tom Alby:

Was ich momentan sehe und was mir sehr gut gefällt, ist Datenjournalismus. Da arbeiten Journalisten wirklich datenbasiert, legen diese Daten auch offen und ermöglichen es den Lesern, ebenfalls mit diesen Daten zu spielen.  

Es gibt auch sehr viele Initiativen für Kinder und Jugendliche, welche ich sehr gut finde. Hier in Hamburg gibt es beispielsweise von der Stadtbibliothek kostenlose und niedrigschwellige Roboterbau- und Programmierangebote. Ich finde es sehr wichtig, dass Kinder früh herangeführt werden, vor allem wenn das Elternhaus dies nicht mitbringt.  

Welche Rolle spielt das Thema Daten bei Allianz Trade?

Tom Alby:

Allianz Trade hat mehrere Geschäftslinien: Warenkreditversicherung, Bürgschaften,  Vertrauensschadenversicherungen, und E-Commerce-Lösungen. Und im Prinzip ist ein Versicherungsunternehmen wie ein Informationstechnologieunternehmen, zumindest aus meiner Sicht als Informatiker. Alles, was wir tun, basiert auf Daten und Analysen. Eine Versicherung funktioniert vor allem so, dass man viele Informationen sammelt, diese auswertet, um darauf basierend Entscheidungen abzuleiten, zum Beispiel wie in unserem Fall wie ein Unternehmen in seinen Geschäften unterstützt werden kann. 

Unsere Kunden wollen die Entscheidungen so schnell wie möglich haben. Sie wollen auch informiert werden, wenn neue Informationen aufkommen und sich etwas an den Bedingungen ändert. Das heißt, Daten und ihre Verarbeitung sind elementar für unser Geschäft.  

Wie steht es in diesem Kontext um das Thema Datenkompetenzen? 

Tom Alby:

Die Datenkompetenz ist schon recht hoch bei Allianz Trade, aber natürlich je nach Geschäftsbereich auch heterogen verteilt. Aber das habe ich bei meinen bisherigen beruflichen Stationen überall so gesehen, selbst bei einem großen Digitalunternehmen. Es ist aber auch nicht so, dass jeder Mitarbeitende Datenkompetenzen besitzen muss.  

Ich nehme allerdings wahr, dass die Anforderungen an die Mitarbeitenden in Bezug auf Datenkompetenzen steigen. Egal wohin man schaut, in allen Bereichen sind mehr Datenkompetenzen für die tägliche Arbeit erforderlich und jeder Mitarbeitende ist für die Datenqualität mitverantwortlich, bspw. sind Vertriebsmitarbeitende dafür verantwortlich, dass die Informationen sauber im Customer Relationship Management Tool eingepflegt sind, da dies einen großen Einfluss darauf hat, welche Auswertungen gemacht werden können. Und mit dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz spielen Daten – und vor allem gute Daten – eine noch wichtigere Rolle, denn sie sind die Grundlage  für KI-Anwendungen. 

Wir haben bei Allianz Trade verschiedene Initiativen, um genau das zu schulen. Wir befinden uns auf einem guten Weg, sind aber noch nicht angekommen. Ich glaube, diesen Zustand kennt fast jede Firma momentan.  

Gibt es denn dahingehend bei euch schon eine systematische Strategie zum Aufbau von Datenkompetenz?  

Tom Alby:

Ja, definitiv. Das Interesse, etwas darüber zu lernen, ist riesig. Als ich 2018 hier angefangen habe, habe ich einen Peer-to-Peer Machine Learning Kurs angeboten, für den sich innerhalb von einem Tag 50 Leute angemeldet haben und am Ende haben 100 Leute teilgenommen. Das liegt natürlich auch daran, dass das Wissen sofort angewendet werden kann. Heute gibt es ein eigenes AllianzGPT, und die Kollegen sehen sehr schnell, dass sie damit ihre Arbeit schneller und besser erledigen können. Hier ist der nächste Schritt, dass wir die Prompt-Formulierung weiter ausbauen wollen. 

Wir haben zudem Datathons ins Leben gerufen. Das ist wie ein Hackathon, nur mit Daten. Beim Datathon versammeln sich Kolleginnen und Kollegen, die fragen: „Wir haben so viele Daten, was machen wir eigentlich damit?“, Sie kommen einen Tag mit einem:r Datenanalysten/in zusammen und widmen sich innerhalb eines Tages gemeinsam Analysen und Ansätzen, die dann am Ende des Tages zu mehr Umsatz führen könnten. Und das Ganze ist so richtig hackermäßig aufgezogen, jeder kriegt Pizza und wir verteilen Hoodies. Wir brechen damit natürlich auch mit dem Klischee von Versicherung.  

Darüber hinaus haben wir bei Allianz Trade auch Zugang zu verschiedenen Kursplattformen mit verschiedenen Kursen zum Thema KI oder Python. Also jeder, der hier etwas lernen will, kann kontinuierlich etwas lernen,. 

Stehen denn zentrale Budgets zum Aufbau von Datenkompetenzen zur Verfügung? 

Tom Alby:

Ja. Das Thema Weiterbildung inklusive das dafür notwendige Budget liegt bei uns im HR-Bereich. Zusätzlich haben wir viele Peer-to-Peer-Initiativen wie den Datathon, die wir miteinander realisieren. Insgesamt schauen wir relativ flexibel darauf, welche Skills und Kompetenzen unsere Mitarbeitenden auch zukünftig benötigen. 

Weitere Ressourcen

Allianz Trade Datathon: https://www.allianz-trade.de/presse/pressemitteilungen/allianz-trade-datathon.html

The Data Dilemma: Google Analytics’ Untapped
Potential and Web Data Literacy: 
https://ceur-ws.org/Vol-3630/LWDA2023-paper28.pdf

Beispiel Datenjournalismushttps://www.zeit.de/datenschutz/malte-spitz-vorratsdaten