Stell dich vor, was ist Deine Position und wie kommst du mit Datenkompetenz in deinem Unternehmen in Berührung?
Marianna Schmieder:
Ich bin Marianna Schmieder und leite bei DHL die Analytics Academy, die konzernweite Anlaufstelle für Learning und Community Angebote im Bereich Data, Analytics und AI. Das umfasst ein breites Spektrum, von Excel-Tipps bis hin zu Python-Programmierung und Datenkultur. Vor fast vier Jahren gab uns unser damaliger CEO den Auftrag, das Thema Daten- und KI-Verständnis zentral für den Konzern voranzubringen und somit das Bewusstsein für den Mehrwert von Daten und Analytics zu steigern. Mit wachsendem Erfolg und Nachfrage ist die Analytics Academy immer weiter gewachsen und damit hat sich auch meine Rolle stetig weiterentwickelt. Mittlerweile bieten wir über 20 verschiedene Formate an und haben über 18.000 Kolleg:innen geschult. Das Thema ist also ziemlich groß geworden.
Was ist dein persönliches Interesse an Datenkompetenz und warum glaubst du, dass das Thema relevant ist?
Marianna Schmieder:
Ich finde sowohl das Feld der Künstlichen Intelligenz (KI), als auch das Thema Datenkompetenz spannend; das ist auch der Grund, warum ich meine aktuelle Position angenommen habe. Heute ist KI allgegenwärtig, aber als ich anfing, war es noch ein Randthema, das vielen Menschen fremd und unverständlich war. Begriffe wie „Algorithmus“ und „Statistik“ schüchtern viele ein, oft aufgrund negativer Erfahrungen in der Schule. Ich finde es spannend, Menschen diese komplexen Themen näherzubringen und sie verständlich zu machen. Wir alle nutzen täglich KI und arbeiten mit Daten, oft ohne es bewusst wahrzunehmen. In einem großen Unternehmen wie DHL ist es besonders wichtig, dass die Mitarbeiter:innen die Bedeutung von Daten verstehen und effektiv mit ihnen umgehen können. Mein persönliches Interesse besteht also darin, Menschen für diese Themen zu sensibilisieren und sie in die Lage zu versetzen, kompetent und verantwortungsvoll mit Daten umzugehen.
„Es ist wichtig, dass die Leute verstehen, was mit ihren Daten passiert. Niemand würde sein privates Fotoalbum in der U-Bahn liegen lassen, aber viele laden bedenkenlos persönliche Informationen ins Internet hoch, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein.“
Bist du im Zusammenhang mit Datenkompetenzen auch in anderen Netzwerken unterwegs, die sich mit dem Thema beschäftigen?
Marianna Schmieder:
Außerhalb der Toolbox Datenkompetenz nicht. Ich finde es großartig, dass es Netzwerke wie eures gibt, die verschiedene Unternehmen zusammenbringen und sich um die Entwicklung von Datenkompetenzen kümmern. Es war für mich auch neu zu erfahren, dass unsere Regierung solche Initiativen unterstützt und fördert.
Innerhalb unseres Konzerns gibt es natürlich diverse Gruppen und Communities, in denen ich mich engagiere. Diese internen Netzwerke sind wichtig, um das Thema Datenkompetenz voranzutreiben und eine starke Datenkultur zu etablieren.
Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, dass die Gesellschaft datenfähig wird und Datenkompetenzen im breiten Publikum zugänglich gemacht werden? Siehst du hier Gefahren und Chancen?
Marianna Schmieder:
Ich finde es gesellschaftlich sehr relevant, dass die Menschen datenfähig werden. Heutzutage ist die Menge an Daten, die täglich verarbeitet werden, enorm angestiegen. Diese Datenmenge explodiert förmlich, auch weil wir mehr Ressourcen und Technologien haben, um sie zu verarbeiten. Daten bedeuten Macht, und es ist entscheidend, die Gesellschaft auf diesem Weg mitzunehmen.
Ein einfaches Beispiel: Viele unserer Eltern und Großeltern nutzen Apps, aber viele von ihnen wissen nicht, dass ihre Daten für Werbung und andere Zwecke verwendet werden, wenn eine App kostenlos ist. Es ist wichtig, dass die Leute verstehen, was mit ihren Daten passiert. Niemand würde sein privates Fotoalbum in der U-Bahn liegen lassen, aber viele laden bedenkenlos persönliche Informationen ins Internet hoch, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein.
Eine gewisse Mündigkeit in der Gesellschaft zu erreichen, ist extrem wichtig, auch für unsere Demokratie. In einigen Ländern wird Social Profiling betrieben, was Auswirkungen auf das Leben der Einzelnen haben kann. Es ist entscheidend, dass die Menschen zum einen wissen, welche Daten von ihnen genutzt werden und zum anderen auch die Datenkompetenz haben, Statistiken und Medienberichte zu verstehen und kritisch zu hinterfragen. Ich sehe hier keine Gefahr, sondern nur Vorteile darin, die Menschen datenkompetent zu machen. Es fördert ein kritisches Bewusstsein und eine informierte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Welche Initiativen sind notwendig, um das Ziel einer datenkompetenten Gesellschaft zu erreichen?
Marianna Schmieder:
Es gibt verschiedene Bereiche, die man betrachten muss, um eine datenkompetente Gesellschaft zu erreichen. Zunächst einmal brauchen wir Initiativen, die technische Fachkompetenzen vermitteln. Dazu gehört die Ausbildung von KI- und Analytics-Expertinnen und -Experten innerhalb Deutschlands. Gleichzeitig müssen wir aber auch talentierte Fachkräfte aus anderen Ländern anwerben, um nicht langfristig hinterherzuhinken und sicherzustellen, dass wir bei den neuesten Technologien vorne mit dabei sind.
Neben diesen technischen Fähigkeiten und Datenkompetenzen ist es auch wichtig, ein bestimmtes Mindset zu fördern. Oft sehe ich gerade bei Frauen, dass sie trotz ihrer unumstrittenen Fähigkeiten im Umgang mit Daten und Mathematik immer noch das Gefühl haben, dass sie das „nicht so gut können“. Das ist ein Mindset und wir müssen schon in der Grundschule ansetzen, um es zu veränden. Kinder sollten von Anfang an ein positives Interesse an Daten und Zahlen entwickeln.
Es geht also nicht nur um die Vermittlung harter technischer Fähigkeiten, sondern auch darum, ein Umdenken zu generieren und ein positives Mindset zu fördern. Dadurch werden die Menschen offener und bereit, sich mit Daten und deren Bedeutung für ihr Leben auseinanderzusetzen.
Habt ihr bei DHL eine klar formulierte Datenstrategie? Wo liegt die Verantwortung dafür und was ist das Kernziel?
Marianna Schmieder:
Wir haben im Konzern eine übergreifende Guideline, die wir als „Know your data, own your data, use your data“ zusammenfassen. Dieser Leitfaden befasst sich mit dem Umgang mit Daten und unserer Datenkultur.
Die endgültige Verantwortung für die Datenkultur und Data Governance liegt aber in den einzelnen Geschäftsbereichen, was angesichts unserer Größe von über 600.000 Mitarbeitenden notwendig ist. Jeder Geschäftsbereich, wie z.B. Post & Paket Deutschland, DHL Express, DHL Supply Chain usw., treibt diese Themen voran und passt sie an seine spezifischen Prozesse und Bedürfnisse an. Die Geschäftsbereiche kommunizieren und interagieren regelmäßig im sogenannten Data Council. Dieses Gremium, das sich auch mit dem Vorstand trifft, bespricht und entwickelt gemeinsame Guidelines, Vorgehensweisen, Infrastruktur, Tools, Policies und Compliance-Themen.
Oft sind es IT- oder Data-Organisation, die die Verantwortung innerhalb der Geschäftsbereiche übernehmen. Die Ansätze können dabei variieren, einige arbeiten mit Data Mesh, andere verfolgen zentralistischere Ansätze.
Eine klar formulierte, konzernweite Datenstrategie als Alleinstellungsmerkmal, existiert derzeit nicht. Allerdings arbeitet die Konzernstrategie aktuell an der „Strategy 2030“, in der das Thema Daten voraussichtlich eine zentrale Rolle spielen wird. Wir sind gespannt!
Du hast die Analytics Academy aufgebaut und sie hat großen Zuspruch bekommen. Im Hinblick auf Anreizsysteme, was macht ihr, damit das so gut funktioniert?
Marianna Schmieder:
Das ist eine spannende Frage. Man könnte in vielen Ländern Trainings verpflichtend machen, wie auch z.B. Compliance-Trainings. In der Analytics Academy haben wir allerdings einen anderen Ansatz gewählt: Wir möchten, dass die Mitarbeitenden aus eigenem Interesse an den Trainings teilnehmen, statt sie dazu zu verpflichten.
Unser Ansatz beruht auf verschiedenen Maßnahmen, um Anreize zu schaffen. Was besonders gut funktioniert hat, ist die Einbindung der verschiedenen Bereiche. Bei großen Trainingsentwicklungen wie dem Data Science-Training haben Mitarbeitende aus den unterschiedlichen Geschäftsbereichen selbst Teile des Trainings entwickelt. Dadurch hatten wir viele Botschafter:innen, die das Training von Anfang an unterstützt und in ihren Regionen und Ländern verbreitet haben. Außerdem verfolgen wir einen „Train-the-Trainer“ Ansatz: Wir haben Kolleg:innen ausgebildet, die dann in ihren Geschäftsbereichen diese Trainings anbieten können. Dieses „Schneeballsystem“ innerhalb des Unternehmens hat sich als sehr effektiv erwiesen.
Zusätzlich gibt es auch traditionelle Anreize, etwa wenn Führungskräfte die Teilnahme ihrer Mitarbeitenden empfehlen oder wenn die Trainings Teil bestehender Learning-Initiativen sind. Ein Beispiel: Wir entwickeln derzeit ein Modul für die erste Führungsebene in den Operations, also z.B. Schichtleiter:innen in den DHL Hubs. Wenn alle Divisionen dieses Training in Zukunft implementieren, betrifft das etwa 30.000 Mitarbeitende. Das Data-Literacy-Modul wird als Teil der Onboarding-Learning-Journey eingebaut, sodass es automatisch Teil ihrer Entwicklung in den neuen Job wird, daran teilzunehmen. So schaffen wir ein Umfeld, in dem Datenkompetenz aktiv integriert und als selbstverständlich angesehen wird.
Was für Lernangebote habt ihr in der Data Academy? In welcher Form liegen diese vor und welche Struktur und Themen adressieren sie vor allem im Kern?
Marianna Schmieder:
Es gibt zwei Themenschwerpunkte.
Zum einen die Angebote für „Techies“ oder die Data Analysts, für die wir eine Reihe von Trainings anbieten, die von grundlegenden Data Analytics Skills bis hin zu fortgeschrittenen Data Science Kompetenzen reichen. Dazu gehören u.a.:
- Data Science Degree: Ein sechsmonatiges Programm, in dem die Teilnehmenden in Kooperation mit einer Universität die Grundlagen des Data Scientist-Berufs erlernen.
- Bootcamps: Intensivkurse, die tief in spezifische Themen eintauchen.
- Playlists: Kurze, leicht zugängliche Tutorials.
- Kleinere Online- und Präsenz Formate: Flexible Lernmöglichkeiten, je nach Bedarf und Vorlieben der Teilnehmenden, z.B. zum Code Mentoring. Viele dieser Angebote wurden von Mitgliedern unseres Teams, die ihr technisches Wissen an andere weitergeben, initiiert.
Für die Business Experts, die keine Data Scientists sind, bieten wir zwei große konzernweite Programme an:
- E-Learning: Ein Basistraining, das die Grundlagen von Künstlicher Intelligenz (KI), deren Funktionsweise und die Bedeutung von Daten vermittelt. Dieses Training ist online verfügbar und wird in verschiedenen Sprachen angeboten.
- Virtuell moderierte Trainings: Zwei halbtägige Sessions, die von zwei Moderator:innen geleitet werden und die Teilnehmenden durch den Data & AI Project Lifecycle führen, damit sie danach eigene Projekte im Bereich starten können.
Zusätzlich gibt es ein neues Programm, das sich auf Data Literacy konzentriert, wie zum Beispiel dem Lesen und Interpretieren von Dashboards, speziell für die erste Führungsebene in unseren Lagerhäusern bzw. DHL Hubs.
Neben diesen großen Programmen haben wir auch Community-Initiativen, wie beispielsweise unsere jährliche AI & Data Konferenz, bei denen aktuelle Projekte und Entwicklungen präsentiert und diskutiert werden.
Sind diese Lernangebote für alle 600.000 Mitarbeitenden kostenfrei verfügbar? Müssen sie sich dafür bewerben, oder gibt es ein bestimmtes Budget, das sie dafür nutzen können?
Marianna Schmieder:
Viele unserer Formate sind niedrigschwellig, bspw. einfach Webseiten- und Trainingsempfehlungen. Diese gratis Angebote sind so gestaltet, dass möglichst viele Mitarbeitende darauf zugreifen können, ohne große Hürden.
Es gibt natürlich auch Formate, bei denen gewisse Kosten anfallen. Ein Beispiel ist unser Universitätsprogramm mit der Universität Maastricht, das natürlich Gebühren verursacht. Hier liegt die Verantwortung bei den jeweiligen Führungskräften, die Teilnahme zu genehmigen. Es gibt in jedem Geschäftsbereich Nominierungsprozesse. Unsere konzernweiten Awareness-Trainings, die darauf abzielen, das Verständnis für Daten und deren Nutzung zu fördern, sind kostenfrei. Dies ist bewusst so gestaltet, um eine breite Teilnahme zu ermöglichen.