Interview: Dr. Marvin Jagals

🗓️ 06.12.2023

DR. MARVIN JAGALS

Data Governance im Data Intelligence Center

Stell dich vor, was ist Deine Position und wie kommst du mit Datenkompetenz in deinem Unternehmen in Berührung?

Dr. Marvin Jagals:

Ich bin Marvin Jagals und arbeite seit etwas mehr als einem Jahr in der Konzernleitung der Deutschen Bahn AG. Innerhalb des Data Intelligence Centers ist es unsere Aufgabe, Themen wie Data Governance, Data Transparency, Data Provisioning und die Etablierung von Data Experts im gesamten Konzern zu koordinieren und die verschiedenen Geschäftsfelder zu unterstützen. Hierbei sind wir sehr dezentral und föderal aufgestellt. Man muss sich vorstellen, dass wir bei der Bahn sehr groß sind, mit über zweihunderttausend Mitarbeitern in Deutschland und über dreihunderttausend Mitarbeitern weltweit. Dies macht das ganze Gebilde sehr komplex und herausfordernd, vor allem wenn es um das Thema Innovation geht, in welchem auch die Kultur eine große Rolle spielt.

Was ist dein persönliches Interesse an Datenkompetenz und wie wichtig ist es deiner Meinung nach für die Gesellschaft, Datenkompetenzen einem breiten Publikum zugänglich zu machen?

Dr. Marvin Jagals:

Datenkompetenz ist ein relevantes Thema. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass die Fähigkeit mit Daten umzugehen in etwa zehn Jahren genauso wichtig sein wird wie das Bedienen eines Computers heute. Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu einem Vorstellungsgespräch und sagen, Sie können keinen Computer bedienen, das wird wahrscheinlich in den meisten Berufen nicht allzu erfolgreich sein. Die aktuellen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung legen nahe, dass Datenkompetenz, sprich das Verständnis von Daten, die Fähigkeit wertschöpfend mit Daten zu arbeiten, und grundlegende Dinge wie Datenklassifizierung, entscheidend werden. Das klingt zwar wie eine steile These, ist aber wissenschaftlich belegt. 

Und darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten, nicht erst in zehn Jahren, sondern bereits heute, denn das kommt nicht einfach wie bei einem Schalter, der umgelegt wird, sondern das kommt ganz langsam. 

Im beruflichen Kontext ist da jede Organisation selbst für verantwortlich und wir haben bereits ein umfangreiches Portfolio im Bereich Datenkompetenzen aufgebaut. Es geht jedoch nicht nur auf den Aufbau von Datenkompetenz innerhalb von Organisationen, sondern gleichzeitig muss sich die Gesellschaft auf den Umgang mit Daten vorbereiten. Hier kommt die Toolbox als Enabler ins Spiel, da dies ein Umsetzungstool und für Bürger außerhalb von Konzernen und Organisationen darstellt, in dem dies gelingen kann. Und so hast du sozusagen ein Sparring aus gesellschaftlichen und berufsbezogenen Lernen, weil wir haben natürlich auch Angebote die sehr Bahnbezogen sind, und diese Komination ist für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen letztenendes entscheidend.

„Und darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten, nicht erst in zehn Jahren, sondern bereits heute, denn das kommt nicht einfach wie bei einem Schalter, der umgelegt wird, sondern das kommt ganz langsam.“

Welche Gefahren und Chancen siehst du hier?

Dr. Marvin Jagals:

Wenn wir die Chancen betrachten sehe ich vor allem im Self-Service-Gedanken eine große Möglichkeit. In den letzten Jahren ist der Trend des selbstständigen Handelns im Bereich Daten, sei es in Business Intelligence oder anderen Bereichen, immer beliebter geworden. Früher waren Datenexperten oft in der IT oder im Controlling versteckt. Doch jetzt ändert sich das und viele Fachbereiche wie Vertrieb, Marketing und Einkauf möchten nicht mehr auf die IT und das Controlling warten. Die Menschen sind heute in der Lage, Dinge selbst zu tun, sei es das Auswerten eines einfachen Power BI-Berichts oder das Nutzen von Low-Code-Plattformen, um Apps zu erstellen. Die Generationen von heute sind digital versiert und können viele Aufgaben ohne Programmiererfahrung bewältigen. Das entlastet nicht nur die Mitarbeiter, die nicht auf Berichte warten müssen, sondern auch die IT, die sich auf ihre Hauptfunktion konzentrieren kann. Es ist wichtig zu erkennen, dass die IT nicht mehr für alles der Ansprechpartner ist, sondern eine spezifische Funktion hat. Die Hauptchance besteht also darin, diesen Föderalismus im Bereich IT und Daten aufzubrechen und Selbständigkeit über das gesamte Unternehmen zu fördern.

Natürlich gibt es auch Gefahren, besonders im Hinblick auf die Kompetenzvermittlung. Es ist wichtig, die Ängste und Sorgen der Zielgruppe zu verstehen und diese zu adressieren. Dennoch sehe ich im Kontext der Kompetenzvermittlung keine realen Gefahren. Lernen und Kompetenzerweiterung sind immer positiv. Die eigentlichen Gefahren liegen eher im Nichtlernen, dem Festhalten an veralteten Hierarchien, und einem mangelnden Verständnis für die Notwendigkeit von Veränderung. Es ist entscheidend, diese Barrieren mit Kompetenzvermittlung zu durchbrechen.

Was für Datenkompetenz Initiativen benötigt es für den Wirtschaftsstandort Deutschland, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben und warum?

Dr. Marvin Jagals:

Ich bin der Meinung, dass es nur über Initiativen nicht funktionieren wird, weil man dadurch in unserer heterogenen Bevölkerung nicht alle erreichen kann. Aus meiner Sicht muss das Thema Lernen über Daten grundsätzlich und spätestens in der Schullaufbahn integriert werden. Es sollten Kurse angeboten werden (und wenn es nur Wahlkurse sind), welche das Thema Daten adressieren. Diese könnten beispielsweise bei dem Thema Datenschutz und Datensicherheit anfangen, was natürlich vor allem in der Generation TikTok ein entscheidendes Kriterium ist und um welches sich in jungen Jahren aktuell wenig gekümmert wird.

Gerade bilden sich einige gesetzliche Säulen, wie die DSGVO, den Data Governance Act und den Data Act, sowie mit Sicherheit kommenden AI Act, aus der Europäischen Union, welche Organisationen in den nächsten Jahren vor immense Herausforderungen stellen werden. Daher ist es entscheidend, dass die Gesellschaft, insbesondere die heranwachsende Generation, diese Vorgaben versteht. Kompetenzvermittlung in den Bereichen Daten und KI ist daher von höchster Bedeutung, sowohl im beruflichen, aber auch im privaten Kontext. 

Initiativen allein reichen jedoch nicht aus. Die Toolbox ist ein gutes Self-Service-Tool, sie bietet Orientierung und kann ein Riesenerfolg werden, sie kann jedoch auch nicht den gesamten Bedarf decken. Wir benötigen daher auch in den Institutionen mehr Kompetenzvermittlung über Daten. 

Eine kleine Anekdote, welche zeigt, wie früh man beginnen sollte, Themen wie bspw. Datenschutz zu vermitteln, sind die kleinen Pixie-Bücher, welche vor ca. einem Jahr von den Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI)  kostenlos herausgegeben wurden, in welchen das Thema Datenschutz spielerisch thematisiert wurde. Diese Kernkompetenzen sollten über den gesamten Lebenslauf vermittelt werden, angefangen im Kindergarten bis hin zur Universität. Unternehmen sind dann selbst verantwortlich, und gesellschaftliches Lernen sollte durch Tools wie die Toolbox unterstützt werden. Das Best-Case-Szenario wäre eine adressatenorientierte Herangehensweise, die die Menschen dort abholt, wo sie stehen, sei es im Kindergarten, in der Schule, oder später im Unternehmen.

Gibt es eine formulierte Datenstrategie in Eurem Unternehmen? Wer/welcher Fachbereich verantwortet diese?

Dr. Marvin Jagals:

Ja, wir haben eine Datenstrategie, welche von unserem Data Intelligence Center in der Konzernleitung verantwortet wird. Als zentrale Einheit unterstützen wir die verschiedenen Geschäftsfelder und haben die Einrichtung von Data Offices in jedem Geschäftsfeld angestoßen. Jedes Geschäftsfeld, wie zum Beispiel Fernverkehr, Regio, Cargo, etc., verfügt über ein eigenes Data Office, welches dezentral agiert und die Umsetzung der Data Governance vor Ort übernimmt. Wir haben also einen föderalen Ansatz, sind eine Zentralfunktion, aber die eigentliche Verantwortung für die Implementierung einer funktionierenden Data Governance liegt beim jeweiligen Data Office des Geschäftsfeldes. Unsere Rolle liegt darin, die Geschäftsfelder mit Use Cases, also praxisorientierten Beispielen, zu unterstützen, sowie Vorgaben zu machen.

Wie baut ihr Datenkompetenzen im Unternehmen auf?

Dr. Marvin Jagals:

(1) Wir haben einerseits die „Data Class“ entwickelt, welche wir in Zusammenarbeit mit unserem Schulungspartner der DB Training anbieten. Es handelt sich hierbei um einen kostenpflichtigen Kurs über 8 Monate mit Präsenztagen, in welchem Teilnehmende zwischen den Streams Data Governance und Datenanalyse auswählen können und in welchem Sie die absoluten Top Themen aus den Bereichen Data Governance und Analyse durchlaufen, wie 

bspw. einen Power Bi Deepdive und theoretische Grundlagen zum Thema Datenmanagement. Auf dieses Programm sind wir sehr stolz und wir sind jetzt in 2024 schon in der zweiten Iteration, also der Data Class 2.0. 

(2) Darüber hinaus haben wir das Self-Service-Angebot „Data Literacy +, welches in Zusammenarbeit mit StackFuel und ebenfalls über DB Training entstanden ist. Es umfasst 5 Module bspw. in den Bereichen Data Literacy und AI Literacy für 12 Monate Laufzeit und die Plattform ermöglicht interaktives Lernen.

(3) Auf unserer Lernplattform „DB Lernwelt“ bieten wir kleine Lernnuggets, darunter Videos über den Datenkatalog, Datenmanagement, Audio-Files, Interviews und ein „Data Office Starter Kit“ mit einfachen Governance-Inhalten.Zusätzlich arbeiten wir an der Entwicklung eines Schulungsbereichs für Data Owner, um das Portfolio kontinuierlich zu erweitern.

Motivation: Gibt es in Eurem Unternehmen Anreizsysteme, damit einzelne Mitarbeitende sich im Bereich Datenkompetenzen weiterbilden? Falls ja, wie sehen diese aus? 

Dr. Marvin Jagals:

Aktuell haben wir keine Anreizsysteme im Kontext der Data Class. Mit über 230.000 Mitarbeitenden stehen wir vor der Herausforderung der Klassifizierung, sprich zunächst die Personen anzusprechen, die in den nächsten[MJ1]  Jahren mit Data Governance, Daten oder KI-Systemen in Berührung kommen oder damit arbeiten werden. Wir bauen hierfür gerade ein Stakeholder Management auf, in welchem wir interessante Berufsgruppen identifizieren, welche wir mittelfristig addressieren wollen. Aber da haben wir bisher weder Anreizsysteme, noch erste Konzepte entwickelt, sondern es geht erstmal darum, die erste Welle von Personen, die auch jetzt schon mit Daten und KI in Kontakt kommen können, in den nächsten Monaten fit zu machen. Langfristig sieht das natürlich anders aus, und es wäre ein Riesenerfolg, wenn wir mit dem Thema auch zu den datenferneren Berufen bspw. In der Produktion oder im Werk kommen, denn das kann ein absoluter Enabler für verschiedene Themen wie zum Beispiel Datenqualität werden.

Stehen zentrale Budgets für als signifikant betrachtete Fähigkeiten/Qualifikationen zur Verfügung? Falls ja, gehört die Datenkompetenz bereits dazu? 

Dr. Marvin Jagals:

Unsere Einheit, das Data Intelligence Center, ist nicht primär für Lernvermittlung zuständig. Wir engagieren uns in dem Bereich zusätzlich, weil das Thema Datenkompetenz für uns sehr wichtig ist. Hierbei arbeiten wir interdisziplinär mit Kollegen aus der DB Training und dem Digitalkompetenzbereich zusammen, die sich auf digitale Kompetenzen im Allgemeinen spezialisieren. Die Awareness für Kompetenzaufbau ist vorhanden und es gibt Budgets und Projekte für den Aufbau einer zentralen Lernplattform sowie für Upskilling-Maßnahmen im Bereich Daten und KI.

Unser Hauptfokus im Data Intelligence Center liegt jedoch auf dem Erfolg von Data Governance, dem Datenkatalog und der Datentransparenz, während der Kompetenzaufbau ein Ziel ist, dem wir uns nähern.

Wie organisieren sich bei Euch HR und die Fachbereiche in Bezug auf Weiterbildungen von Mitarbeitenden? 

Dr. Marvin Jagals:

Die Weiterbildung unserer Mitarbeiter ist bei uns professionell organisiert. Es gibt feste Budgets, die je nach Geschäftsfeld variieren. Unser HR-Resort ist umfangreich und bietet eine breite Palette von Schulungen an. In Zusammenarbeit mit DB Training haben wir einen eigenen Schulungsanbieter, der Schulungen von Projektmanagement bis hin zu technischen Themen wie Daten, KI und IT-Sicherheit anbietet. Diese Struktur ist gut durchdacht und ermöglicht eine vielfältige Weiterbildung unserer Mitarbeiter.

Gibt es Use Cases im Bereich Förderung von Data Literacy oder Entwicklung in Daten-Rollen, die ihr umgesetzt habt oder zu denen ihr öffentlich kommuniziert habt?

Dr. Marvin Jagals:

Ja, also grundsätzlich ist der Haupt-Use-Case in den letzten Wochen die Entwicklung der Data Class gewesen. Das ist nämlich das Produkt, auf das wir besonders stolz sind und welches auch die meiste Kraft gekostet hat diese zu entwickeln.